Schnaken (Tipulidae)

Tipula solstitialis


Phänologie und Nischendifferenzierung der Tipulidenarten (Diptera, Nematocera) auf Niedermoorwiesen

Abstract: Phenology and niche partitioning of Tipulides (Diptera, Nematocera) in fen meadows. The phenology and niche requirements of leatherjackets (Tipulidae) of a fenland in eastern Lower Saxony (Germany) were investigated. For the autumn-species Tipula fusca Staeger and Tipula obsoleta Meigen the temperature was an important factor to modulate the phenology of these species. Below -4°C the imagines were dying and the further emergence was interrupted. The microhabitats of the leaterjackets were characterized by the plant species composition, physical and chemical conditions like ground-pH, temperature, moisture, density and the concentration of organic compounds. Tipula solstitialis Westhoff takes an exceptional position. This species was found on very damp meadows and was the only species, which was able to survive a long period of flooding (9 months at one sample site).

Key words: Tipulidae, phenology, critical emergence temperature, microhabitat, fen

Einleitung

Im Rahmen des BMBF-Verbundvorhabens "Ökosystemmanagement Niedermoore" werden am Standort Drömling (nordöstlich von Wolfsburg) die ökologischen Auswirkungen verschiedener Bewirtschaftungsmethoden auf Zielartenkollektive hin untersucht. Einen Bestandteil der Bodenfauna stellen die Tipuliden dar. Sie verbringen, mit Ausnahme der maximal dreiwöchigen Imaginalphase, das gesamte Jahr in den oberen Bodenschichten. Die in Deutschland allgemein häufigen Arten traten auch in dieser Untersuchung mit den höchsten Individuendichten auf. Neben solchen euryöken werden auch weitere stenöke Arten und ihre Habitatansprüche dargestellt.

Material und Methoden

Die Böden von 7 Untersuchungsflächen wurden auf die abiotischen Parameter Dichte, Feuchte, pH, organischer Gehalt und Temperatur hin untersucht. Für Niederschlag und Lufttemperatur stand eine automatische Wetterstation auf einer der Untersuchungsflächen zur Verfügung. Zur Vegetationsbeschreibung wurde der Deckungsgrad der einzelnen Pflanzenarten gemäß Braun-Blanquet (Mühlenberg 1993) abgeschätzt. Auf den selben Flächen wurden über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg wöchentlich Bodenproben (10*20*15cm) mit dem Spaten ausgestochen, aus denen die Larven der Tipuliden mittels Handauslese isoliert wurden. Die Larven wurden bis zum Schlupf in Bodenproben ihres Fundortes kultiviert und nach ihrem Schlupf als Imagines bestimmt. Die Imagines wurden auf diesen Flächen zweimal pro Woche auf definierten Transekten mit dem Kescher gefangen. Die Determination folgte Lindner (1980). Auf vier dieser Flächen waren zusätzlich 20 Emergenzfallen (insgesamt 8m² Grundfläche) aufgestellt worden. Weitere 33 Flächen wurden gezielt auf das Vorkommen von Tipula fusca und T. obsoleta hin untersucht. Auswertung: Um ökologische Präferenzen der Arten herauszuarbeiten, wurden die Daten aller untersuchten Parameter zu größeren Wertebereichen zusammengefaßt und diese den Arten gemäß ihrer spezifischen Nutzung zugeordnet und entsprechend dem Vorkommen der jeweiligen Habitatbedingung auf den Untersuchungsflächen gewichtet.

Ergebnisse

Die Tipuliden auf den feuchten Niedermoorwiesen im Drömling flogen im Jahr 1994 vom 03.05. bis 09.11.. Neben einigen Einzelfunden (Pales maculata Meigen, Tipula luna Westhoff, Tipula marginata Meigen) konnten 7 Arten in mehreren Exemplaren nachgewiesen werden: Tipula fusca Staeger (= T. czizeki de Jong), Tipula nigra Linnaeus, Tipula obsoleta Meigen, Tipula oleracea Linnaeus, Tipula paludosa Meigen, Tipula solstitialis Westhoff, Tipula vernalis Meigen. Die Hauptflugzeit der einzelnen Arten (über 30% der Individuen einer Art) überlappt sich nicht. Im Vergleich mit Angaben von Brinkmann (1991) und Lindner (1980) liegen die Flugperioden aller Arten 2 bis 3 Wochen später. Phänologisch lassen sich die Arten in drei Gruppen gliedern: die Frühjahrsarten (T. vernalis und einzelnen Individuen von T. oleracea), die Sommerarten (T. oleracea, T. nigra, T. solstitialis, T. paludosa) und die Herbstarten (T. fusca und T. obsoleta). Die Flugzeiten von T. solstitialis auf verschiedenen Untersuchungsflächen im Drömling lagen bis zu sechs Wochen auseinander, die der anderen Arten nicht mehr als zwei Wochen. Für Untersuchungen zur Frosttoleranz der Herbstarten T. fusca und T. obsoleta wurden markierte Imagines beider Arten in Emergenzkäfigen ausgesetzt. Dabei ließ sich ermitteln, daß erst Nachtfröste mit Temperaturen unterhalb von -4°C zum Tode der Imagines führten. Dieser Temperatureinfluß machte sich auch beim Vergleich der Flugperioden dieser Arten von 1992 bis 1994 bemerkbar. So ging die Zahl der Imagines 1992 in der 41. Woche und 1994 in der 42. Woche fast auf Null zurück. Die Temperatur war jeweils im gleichen Zeitraum unter -4°C abgesunken.

Ein langer Überstau der Flächen durch Frühjahrshochwasser führte im Vergleich mit weniger lange überschwemmten Flächen nicht zu einer Verschiebung der Flugperiode der Tipuliden, wirkte sich aber negativ auf deren Populationsdichte aus. Auf Flächen mit 9 monatigem Überstau konnte sich nur T. solstitialis behaupten.

Zusammenfassung der ökologische Habitatansprüche der betrachteten Arten der Untersuchungsflächen:

T. fusca präferierte insgesamt Flächen mit höheren Deckungsgraden an Cyperaceae und Juncaceae. Speziell die Larven waren hingegen höchst signifikant häufiger unter dem Süßgras Agrostis canina zu finden, als dieses auf den Flächen zur Verfügung stand. Gegenüber den abiotischen Parametern waren keine klaren Präferenzen oder Meidungen erkennbar. T. nigra zeigte ebenfalls eine Bevorzugung für Flächen mit Juncaceae-Vorkommen. Sie war auf den stark bis mäßig sauren Flächen anzuteffen, verhielt sich aber in Bezug auf andere Parameter uneinheitlich. T. obsoleta kam nur auf den 13 von 40 untersuchten Flächen vor, die durch besonders feuchten, lockeren und sauren Boden, der auch reich an organischen Substanzen war, charakterisiert waren. Kennzeichnend für diese Flächen war ebenfalls ein hoher Deckungsgrad von über 10% mit dem Süßgras Agrostis canina. T. oleracea zeigte Präferenzen für Flächen mit hohem Cyperaceae-Anteil. Gemieden wurden Bereiche mit zu viel Poaceae, sowie saure und trockenen Habitate. T. paludosa verhielt sich genau konträr zu T. oleracea. Insbesondere Flächen mit hohem Poaceae-Anteil wurden bevorzugt. Im Bezug auf pH-Wert und Bodenfeuchte präferierte die Art mittlere Wertebereiche. T. solstitialis präferierte deutlich Flächen mit Juncus-Bewuchs und besonders saure, feuchte und lockere Böden. Sie überlebte als einzige Art einen 9 monatigen Überstau. T. vernalis war bei höherem Cyperaceaeanteil und hohem pH-Wert zu finden. Diskussion

In Bezug auf die verschiedenen untersuchten biotischen und abiotischen Parameter zeigten die generell häufigen Arten Tipula. oleracea, T. paludosa, T. fusca und T. vernalis (Brinkmann 1991) ein wenig spezifisches Verhalten und sind somit als eurytop einzustufen. Eine Nischendifferenzierung dieser Arten wurde erst bei Betrachtung möglichst vieler Habitatparameter deutlich, da sie für einzelne Parameter zu große Toleranzen aufwiesen. Eine deutliche Nischentrennung dieser Arten ist aber erforderlich, da es Hollander (1975) gelang, die Arten erfolgreich zu kreuzen. Nur T. fusca war klar phänologisch getrennt. Die zeitgleich fliegenden T. oleracea und T. paludosa zeigten hingegen ein gegensätzliches Verhalten gegenüber den einzelnen Parametern, sodaß beide Arten zwar ähnliche Habitatbedingungen tolerierten, jedoch jeweils andere Habitatbedingungen präferierten. Das Vorhandensein bestimmter Nahrungsresourcen scheint nach der Literatur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Schon Maercks (1939) hielt die Tipuliden für omnivor. Die überproportional häufigen Funde der T. fusca Larven unter dem niedrigwüchsigen Süßgrases Agrostis canina könnten auch durch das Eiablageverhalten der Weibchen verursacht werden, welche in Bereichen mit niedriger Vegetation versuchen, die austrocknungsempfindlichen Eier möglichst tief in die Streu zu legen. Die Bindung dieser Art an Flächen mit hohem Deckungsgrad an Agrostis canina ist jedoch nicht obligat. Dagegen scheint T. obsoleta eng an genau solche Bereiche gebunden zu sein. Eine genauere Beschreibung der Nische von T. nigra war mir noch nicht möglich. Sie schien jedoch ähnliche Flächen wie T. obsoleta zu bevorzugen. Als fakultativ xylophage Art (Theowald 1984) könnte sie vor allem auf Niedermoorflächen mit gut entwickeltem Torfkörper zu finden sein. Konkrete Unterschiede in ihren Habitatansprüchen zu T. obsoleta konnten noch nicht herausgearbeitet werden. Eine Sonderstellung nahm die stenöke T. solstitialis ein, sie überstand auch als einzige Art einen 9 monatigen Überstau und war eng an besonders feuchte Habitate gebunden. Da Tipuliden fast das gesamte Jahr im Boden verbringen, sind sie Temperaturschwankungen weniger ausgesetzt. Die Imagines der Herbstarten überleben leichten Bodenfrost problemlos. Erst Temperaturminima unterhalb von -4C° können nicht mehr verkraftet werden. In wie weit die Puppen durch solche Frosteinbrüche geschädigt werden, kann nicht abschließend beurteilt werden. Der Schlupfverlauf von 1992 und 1994 läßt jedoch vermuten, daß die Larven, bzw. Puppen ihren Schlupf so lange verzögern, bis die Imagines wieder akzeptable Temperaturverhältnisse vorfinden. Da im Herbst 1993 ein Frosteinbruch fehlte, verkürtzte sich die Flugperiode für T. fusca auf dieser Fläche auf 4 Wochen statt 5 Wochen wie 1992, bzw. 6 Wochen im besonders kalten Herbst 1994.

Dieses Projekt wurde vom Bundesministerium für Forschung und Technologie unter 0339528 A gefördert.

Literatur

Brinkmann R. 1991. Zur Habitatpräferenz und Phänologie der Limoniidae, Tipulidae und Cylindrotomidae (Diptera) im Bereich eines norddeutschen Tieflandbaches. Faun.- Ökol. Mitt. Suppl. 11: 1-156.

Ispas G. 1993. Untersuchungen zur Tipulidenfauna von Niedermoorgrünlandflächen des Drömlings (SO Niedersachsen). Diplomarbeit Zoologisches Institut, TU Braunschweig.

Hollander den, J. 1975. The phenology and habitat of the species of the subgenus Tipula Linnaeus in the Netherlands (Diptera, Tipulidae). Tijdschr.Ent.. 118 (4):83-97.

Lindner E. 1980. Die Fliegen der Palaearktischen Region. Bd.3/5-1 Stuttgart: Schweizerbart`sche Verlagsbuchhandlung.

Maercks, H. 1939. Untersuchungen zur Biologie und Bekämpfung schädlicher Tipuliden. Arbeiten über physiologische und angewandte Entomologie (Berlin-Dahlem). 6: 222-257.

Mühlenberg, M. 1993. Freilandökologie. 3.Aufl., Heidelberg, Wiesbaden UTB, 595S.

Theowald, B. 1984 . Taxonomie, Physiologie und Biogeografie der Untergattung Tipula (Tipula) Linnaeus, 1758 (Insekta, Diptera, Tipulidae). Tijdschrift voor Entomologie, Deel. 127 /3: 33-78. in Arbeit


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